Eröffnung: 09. Februar 2023, 18 - 21 Uhr
Vor fast 50 Jahren publizierte unser Verlag Schellmann+Klüser die Examensarbeit von Eva Beuys- Wurmbach an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf. Sie wurde 1959 geschrieben und trägt den Titel ‘Die Landschaften in den Hintergründen der Gemälde Leonardos’. Bereichert wurde sie durch analysierende schematische Skizzen von Joseph Beuys, der Eva Beuys im selben Jahr geheiratet hatte.
Das erste im Text besprochene Bild war das 1470 entstandene Frühwerk des 20jährigen Leonardo: ‘Die Verkündigung’. Für den ständig forschenden Leonardo war schon in der Frührenaissance die Landschaft (synonym für die Natur) nicht nur reine Hintergrundfolie für die zentralen Personendarstellungen, sondern organischer Bestandteil seiner Bilderfindungen. Die Kräfte der Natur zu erfassen und sie transformiert in seine Kunst einzubringen – also eine Synthese zwischen Wissenschaft und Kunst zu erreichen – war für Leonardo wie auch für seinen Bewunderer Joseph Beuys von zentraler Bedeutung.
Es mag erstaunlich klingen für die Geschichte einer Galerie im zeitgenössischen Kontext, aber 1984 spielte Leonardos ‘Verkündigung’ wieder eine gewichtige Rolle. Wir hatten Andy Warhol vorgeschlagen, als Kontrast zu seinen typisch amerikanischen Pop-Art-Motiven Grafikserien zu Details von Renaissance-Bildern zu schaffen. In die engere Auswahl kamen Bilder von Leonardo da Vinci, Paolo Uccello und Sandro Botticelli.
Bei Leonardo fiel die Wahl auf die ‘Verkündigung’. Für alle Motive entstanden Grafikportfolios mit je vier farblichen Varianten, Zeichnungen und jeweils zwei großformatige Leinwände im Format von 122 x 183 cm. Eines dieser Bilder steht im Zentrum unserer Ausstellung. Andy Warhol hat mit seiner Auswahl des Details der ‘Verkündigung’ die ursprüngliche Bedeutung des Bildes radikal verändert. Von den beiden Hauptfiguren sind nur noch die jeweils rechten Hände am Bildrand zu sehen. Im Mittelpunkt steht das Detail des Landschaftshintergrundes, das zum Hauptmotiv mutiert.
In der Ausstellung sind auch zahlreiche ältere landschaftsbezogene Werke zu sehen, die sich in unserem kürzlich verkauften Haus in Frankreich befanden. Wir zeigen sie als Ausnahme zu unserem zeitgenössischen Galerieproramm, weil die Landschaft in diesen Beispielen eine primäre Rolle spielt und die Entwicklung der Landschaftsdarstellung verdeutlicht.
Eine Gruppe von Mezzotinto-Radierungen mit Sepiatinte ist dem Werk von Claude Lorrain (1600-1682) gewidmet, dem großen Landschaftsmaler und -zeichner der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. In seinem ‘Liber Veritatis’ schuf er in 200 Zeichnungen ein Werkverzeichnis seiner Bilder – nicht zuletzt, um potenziellen Fälschungen vorzubeugen. Richard Earlom gelang es 1774-1777 durch die von ihm entwickelte Drucktechnik, diese Zeichnungen adäquat umzusetzen und sie einem größeren Publikum zugänglich zu machen.
Zeichnungen und Skizzen von Künstlern wie Franz Kobell (1749-1822) und Johann Georg von Dillis (1759-1841) aus dem Umfeld der deutschen Romantik ergänzen das Sujet der Landschaftsdarstellung in ihren pastoralen, arkadischen und lyrischen Varianten einer idealen oder realen Landschaft.
Hinzu kommen zwei Ölbilder aus dem 19. Jahrhundert. Christian Klengel (1751-1824) war ein Vertreter der Dresdener Landschaftsmalerei, die ihren Höhepunkt in Caspar David Friedrich fand. Als Schüler von Bernardo Bellotto und Ch.W.E. Dietrich und späterer Professor an der Dresdener Akademie war er ein erfolgreicher Wegbereiter der romantischen Landschaftsmalerei.
Louis Auguste Auguin (1824 Rochefort – 1903 Bordeaux) ist in Deutschland kaum bekannt, gilt aber in Frankreich als anerkannter Landschaftsmaler seiner Heimat im Südwesten des Landes nahe der Atlantikküste. Als enger Freund von Camille Corot und Gustave Courbet, noch unbeeinflusst vom Impressionismus, malte er Landschaftsbilder, die vor allem vom Licht Jakob van Ruisdaels und Claude Lorrains atmosphärisch bestimmt waren. Unser Bild zeigt das Waldgebiet von Cesté, im Hintergrund ist das Bassin von Arcachon mit der berühmten Düne von Pilat zu erkennen.
Im zeitgenössischen Bereich der Ausstellung dominiert neben dem Bild von Andy Warhol die große frühe ‘Niederrheinlandschaft’ (1984) von Tony Cragg. Eine vergleichbare Wandarbeit (‘Tarry Landscape’) wird zur Zeit in der umfangreichen Cragg-Ausstellung der Staatlichen Graphischen Sammlung in der Pinakothek der Moderne ausgestellt.
Das gedruckte Bildmotiv der Faltskulptur von Olaf Metzel zitiert das ikonische Leporello ‘Real Estate Opportunities’ von Ed Ruscha. Eine dystopische amerikanische Stadtlandschaft von Nix/Gerber nach einem von den Künstlerinnen gebauten Diorama indiziert den möglichen Zerfall einer hochgezüchteten turbokapitalistischen Struktur.
Von Alex Katz stammen drei frühe Kleinformate: New Yorker Fassaden bei Nacht, ein Waldweg und eine Seelandschaft. Sean Scully ist vertreten mit einem großformatigen C-Print, der eine Übergangssituation von Land zum Meer zeigt. Ein Beleg, dass seine Fotografien mit Natur- oder Architekturausschnitten eine enge Verbindung zu seinen abstrakten Bildern aufzeigt. Glen Rubsamen verfremdet eine US-amerikanische Landschaft mit der Skulptur ‘Mae West’ von Rita McBride, die als riesige Außenskulptur einen zentralen Platz in München beherrscht.
Von Joseph Beuys ist neben druckgrafischen Arbeiten eine wichtige Zeichnung von 1962 zu erwähnen. Kreuzförmige Skulpturen wachsen aus der Erde, oder versinken in ihr – eine Verbindung von Natur und Kultur. Das Spektrum wird abgerundet durch zwei Werke von Karl Bohrmann und vier Zeichnungen von Jonathan Bragdon. Der Philosoph und Zeichner verbrachte mehrere Monate im Jahr in den Schweizer Alpen, um in freier Natur die monumentale Berglandschaft in innovativer Form zeichnerisch zu erfassen.
Die Schönheit der natürlichen, idealisierten oder gestalteten Landschaft ist ein durchgängiges Thema in der Bildenden Kunst seit Giorgione und Leonardo da Vinci. Gleichzeitig gefährdet die Ausbeutung durch den Menschen Landschaft und Natur mehr denn je. Ihre Folge ist die Bedrohung von Lebensräumen, nicht zuletzt durch immer häufiger und stärker auftretende Wetterphänomene wie Stürme, Überschwemmungen und Brände. Auch darauf möchte unsere Ausstellung hinweisen.
Bernd Klüser
Ausgewählte Werke
Johann Christian Klengel (1751-1824)
Burgruine vor weiter Landschaft
Öl auf Leinwand
67,5 x 98,5 cm
Oh look, a Portal (2006)
Tusche und Bleistift auf handgeschöpftem Papier
52 x 56,5 cm
The Muhammed Tree (2006)
Tinte auf Transparentpapier über gefundenes Papier gelegt
28 x 21 cm
ZEICHNUNGEN ZU “CODICES MADRID” VON LEONARDO DA VINCI, Blatt 2 (1975)
Auflage: 100
Granolithografie, gefaltet auf das Buchformat, Buch
23 x 32 cm
ZEICHNUNGEN ZU “CODICES MADRID” VON LEONARDO DA VINCI, Blatt 4 (1975)
Auflage: 100
Granolithografie, gefaltet auf das Buchformat, Buch
23 x 32 cm
Schautafeln für den Unterricht I+II (1971)
Auflage: 202
Zwei Fotografien auf Pappe aufgezogen
83 x 105 cm (je Blatt)
Initiation Gauloise (1976)
Auflage: 185
Farblithographie auf Karton, gestempelt
65 x 85 cm
Untitled [Skulpturen] (1962)
2 Frottagen, / Bleistift auf Papier
jeweils 15,5 x 22 cm
Looking toward les Dents du Midi, Val d’Illiez (2014/15)
Graphit auf Papier
28,5 x 76,5 cm
Looking toward St. Maurice from Bex 2 (2014/15)
Graphit auf Papier
28,5 x 76,5 cm
Les Dents du Midi under Clouds from above Val d’Illiez (2014/15)
Graphit auf Papier
28,5 x 76,5 cm