Jorinde Voigt

Die Größe von Voigts jüngsten skulpturalen Arbeiten ist eng an die Dimensionen der Linien gebunden, die sie mit ihrer eigenen Hand zeichnen kann. Jedes Werk ist ein aus mehreren Teilen bestehendes Ganzes: die Rekonstruktion verschiedener Augenblicke, verschmolzen zu einer organischen Einheit. In einem sensiblen Gleichgewicht fügt sich jedes einzelne Element auf seine eigene Weise zusammen. Es entstehen kleine, freistehende Strukturen mit geneigten freien Flächen wie in Tetrade 2 oder Tetrade 3, oder eng aneinander geschmiegte Formen wie in Tetrade 1 oder Triade 6.

Obwohl Voigts Arbeiten selten unmittelbar erkennbare Formen darstellen, wohnt ihnen dennoch eine Bestimmtheit inne. Voigts Skulpturen könnten sich potenziell wie die Kuben von Sol LeWitt bis ins Unendliche ausdehnen. Durch ihre spezifische Struktur und Materialität, der eine bewusste Konstellation von Momenten, Bewegungen und atmosphärischen Bedingungen zugrunde liegt, haben diese “Gedankenformen” – Manifestationen von Gedachtem, Ideen und Emotionen – jedoch einen offenen und fluiden Charakter.

Als organische Gestalt sind sie keine in sich geschlossenen, singulären Systeme, sondern notwendigerweise durchdringbar. Die verschiedenen Iterationen der Holzformen sind daher weniger ein Vorgang der Wiederholung als vielmehr ein Akt der Neuorientierung oder des Austauschs im beständigen Versuch, ein einzigartiges Gleichgewicht zwischen seinen Bestandteilen zu finden.
Ähnliche Formen tauchen in einer neuen Serie von Arbeiten auf Papier mit dem Titel The Sum (Puls) auf. Die geschwungenen Formationen von Voigts Skulpturen – die indirekt an Bumerangs, Embryonen oder Halbmonde erinnern – erscheinen hier als kreidene Schatten oder elegante, sprudelnde Linien vor einem satten Mitternachtsblau. Die Verbindung zwischen den beiden Serien wird insbesondere in den markanten blauen biomorphen Formen und rhythmischen Linien des Werks The Sum (Puls) 6 deutlich. Sie verschränken und umschlingen sich vor einem Hintergrund aus leuchtendem Blattgold und erinnern in ihrer vertikalen Ausdehnung an eine Wirbelsäule oder DNA.

In ihrer Serie Rhythm baut Voigt Linien in drei Dimensionen auf: Sie schneidet auf und aus, verschiebt und schichtet farbiges Papier und bereits gezeichnete Linien zu neuen Anordnungen. Der Begriff des Rhythmus bezieht sich auf jede zyklische Struktur: schlagende Herzen, Biorhythmen, Mondphasen, Jahreszeiten oder Ebbe und Flut. In der natürlichen Welt kann kein Rhythmus für sich allein existieren.

Voigts Bearbeitung ihrer Materialien wirft zahlreiche Fragen nach Einschränkung, Begrenzung und Resilienz auf, die sich in ihrem Wirkungsbereich erweitern lassen, um die ineinandergreifenden Rhythmen unserer Welt in einem größeren Rahmen zu betrachten.

Text: Jesi Khadivi