Bernardí Roig:
Geschichte ist Konsensfiktion. Die Fakten könnten wie folgt lauten:
In der Nacht des 15. April 1828 stirbt Goya allein im Exil in Bordeaux. Aus Spanien erhebt niemand Anspruch auf seinen Leichnam, und er wird auf dem Friedhof der Stadt begraben und vergessen. Sechzig Jahre später entdeckt der spanische Konsul von Bordeaux das Grab des Künstlers und veranlasst die Exhumierung der Leiche und den anschließenden Transport der sterblichen Überreste des Meisters nach Madrid.
Als das Grab geöffnet wird, kommt zum Vorschein, was vom Körper noch übrig geblieben ist – außer der Kopf. Ohne Schädel wird das Skelett des Künstlers nach Madrid geschickt. Jemand hatte Goyas Kopf gestohlen und er war nie wieder aufgetaucht.
Doch der Kopf verschwand nicht endgültig: sein Geist ließ sich in tausend anderen Köpfen nieder, hunderttausende Köpfe von denen, die ihn bewunderten, liebten oder hassten. Er durchdrang auch die Köpfe vieler Künstler, die, von der Angst der Einflüsse erdrückt, nicht in der Lage waren, sich ihrer Intensität und Grausamkeit zu entziehen.
Bernardí Roig hat einen Rundgang durch die Bilder dieser Enthauptung zusammengestellt.
Diese Ausstellung ist ein Versuch, die Abwesenheit des Kopfes von Goya zu vergegenwärtigen und im Zittern einer Hand zu verkörpern, die die Annäherung eines Porträts zeichnet. Skulpturen, Aquarelle, Lichtinstallationen und großformatige Zeichnungen unternehmen den Versuch eines großen imaginären und facettenreichen Porträts von Goays abwesenden Kopf.
Die zentrale Installation in den Räumen der Galerie Klüser 2 setzt sich aus einer Ansammlung von Maskengesichtern zusammen, die sowohl die Unmöglichkeit des Bildes und das Misstrauen gegenüber der ungehorsamen Linie, die die Zeichnung konstruiert, verbergen und offenbaren.
Vor diesen identitätsberaubten Gesichtern hat sich eine sitzende Figur die Augen ausgestochen, um den Turbulenzen der Begierde zu entfliehen. Diese Gestalt ist das gespenstische Doppel desjenigen, der schaut, desjenigen, der das Bild mit seinem Blick zum Leben erweckt.
So fungieren die großformatigen Zeichnungen in der Ausstellung wie Tableaux Vivants, wie ein “großes Theater der Unbeweglichkeit”, und zeigen die dialektische Spannung eines Bildes, das die Spiegelung seines Gegenübers enthält; ein Bild, das seine inneren Widersprüche annimmt und den Puls der Unzufriedenheit offenbart, der hinter jeder Szene des Glücks schlägt.
In divergierender Bildsprache thematisieren die verschiedenen Schichten und Formalisierungen dieses Projekts die inzestuöse Beziehung, die wir mit der Erinnerung haben, von erstarrten Obsessionen und von der Fremdheit und Unruhe, die in den verdrängten Tiefen des Bildes, das wir erben, schlägt. Oftmals verschmelzen unvollendete Bilder der Nicht-Kommunikation und beharrlichen Einsamkeit zu einem Konglomerat sich überlagernder Zeiten.
Bernardí Roig konstruiert diese Bilder des Blicks durch den textlichen und narrativen Charakter der Werke, wobei er verschiedene Register einsetzt, um die Stille, die Leere, die Wiederholung und den psychischen Abgrund, zu dem wir verdammt sind, zu formalisieren.
Ausgewählte Werke
Über den Künstler
Charakteristisch für den Multi-Media Künstler Bernardí Roig sind seine Installationen aus weißen Polyesterharzfiguren mit Neonlicht, welche er teilweise mit Zeichnungen, Fotografien oder Videos interagieren lässt. Auf diese Weise porträtiert er den menschlichen Körper und reflektiert kritisch die massenmedial verursachte und virtuell verbreitete Informations- und Bilderflut. Auch Themen wie Vergänglichkeit und Tod werden in diversen Plastiken durch Feuer, Kohle oder Eis visualisiert. In all seinen Werken bleibt dabei die Diskrepanz zwischen der Abbildung und dem Wesen des Dargestellten im Vordergrund.